Qatargate: EU-Parlament muss nach Korruptionsskandal an Transparenz nachlegen

Dieser Artikel ist am Samstag, 16.12.2022, im Luxemburger Wort erschienen.

Der Korruptionsskandal um seine, mittlerweile abgesetzte, Vizepräsidentin Eva Kaili und andere, teils ehemalige, Abgeordnete und Mitarbeitende hat das EU-Parlament tief ins Mark getroffen. Den Schaden, den das für das Parlament, die EU-Institutionen und das Europäische Projekt bedeuten kann, müssen wir ernst nehmen, denn vom rechten und autoritären Rand, mit Autokrat Viktor Orban an der Spitze, ist die Schadenfreude deutlich zu spüren. Seht ihr, wir haben schon immer gesagt, dass die EU korrupt ist. Welches Recht hat das Parlament noch, uns Lektionen in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Transparenz erteilen zu wollen, so ihr Narrativ.

 

Klare Konsequenzen im aktuellen Korruptionsfall

Der Unterschied besteht natürlich darin, dass Transparenz, Rechenschaftspflicht und Rechtsstaatlichkeit in einer funktionierenden Demokratie keine leeren Worte sind. Korruption hat bei uns Konsequenzen. In diesem Fall hat der Rechtsstaat funktioniert und die Beschuldigten werden mit harten Strafen rechnen müssen, sollten sich die Vorwürfe gegen sie bestätigen.

Die strafrechtliche Verfolgung illegaler Bestechung und Korruption ist das eine. Es muss auch klare politische Konsequenzen geben, so wie dies im Parlament diese Woche bereits passiert ist: Abstimmungen zu Visaerleichterung für Qataris wurden von der Plenaragenda genommen, Kaili ihres Amtes enthoben und am Donnerstag eine Resolution angenommen, die den Fall scharf verurteilt und Aufklärung fordert. Wir müssen genau verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass Mitarbeitende und Abgeordnete sich vermeintlich die Taschen voll mit Geld stecken konnten, ausgerechnet aus den Händen eines autoritären Staates, der Menschenrechte mit Füßen tritt. Deswegen fordern wir die Gründung einer Untersuchungskommission, die den Skandal gründlich aufarbeiten soll.

 

Strukturelle Transparenzmängel beheben

Das Problem geht aber über den Katar-Fall hinaus. Die aktuellen Transparenzregeln im EU-Parlament sind in einigen Aspekten zwar beispielhaft, jedoch nicht ausreichend und teils lückenhaft. Wir Grünen fordern schon seit langem strengere Regeln in Sachen Transparenz und Rechenschaftspflicht für EU-Abgeordnete, sind dabei aber öfters am Widerstand anderer Fraktionen gescheitert.

EU-Abgeordnete müssen zwar vergangene professionelle und ehrenamtliche Aktivitäten und aktuelle Nebeneinkünfte deklarieren, umfassende Vermögenserklärungen sind jedoch nicht vorgesehen. Es gibt auch ein gemeinsames Transparenzregister von Rat, Kommission und Parlament. Verpflichtend ist der Eintrag von Treffen mit Lobbyist*innen allerdings nur für bestimmte Abgeordnete, etwa Ausschussvorsitzende, oder für Berichterstatter*innen von Gesetzestexten. Die Offenlegung von Gesprächen mit Regierungsvertreter*innen ist bisher ebenfalls nicht vorgesehen, genau wie es erlaubt ist, sich auf Reisen auf Kosten von Unternehmen oder Drittstaaten einladen zu lassen.

Diese Regeln reichen nicht aus, um tatsächlich Transparenz zu schaffen, die es Abgeordneten quasi unmöglich machen würde, ihre Position für unlautere Interessen zu missbrauchen und die es den Wähler*innen ermöglichen würde, nachzuvollziehen, wer ihre Vertreter*innen bei ihrer Arbeit beeinflusst haben könnte.

Deswegen hat die Grüne Fraktion sich bereits vor Jahren selbst strengere Regeln gegeben. Für Fraktionsmitglieder ist es Pflicht, ihre Treffen mit Lobbyverbänden zu veröffentlichen. Auch haben wir strengere Regeln für den Umgang mit den Geldern, die uns für unsere Arbeit als EU-Abgeordnete zur Verfügung stehen.

 

Offenlegung von Lobbyverbindungen ein Muss

Die Blockade im Parlament gegen solche verbindlichen Regeln müssen wir überwinden. Alle Fraktionen müssen verstehen, dass sie sich selbst und unserer Institution schaden, wenn sie sich gegen mehr Transparenz wehren. Kredibilität und Integrität gehören für das EU-Parlament, noch mehr als für andere Institutionen, zu unseren wichtigsten Währungen, wenn wir als Bollwerk der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in der EU und darüber hinaus gelten und wirken wollen.

Deswegen brachten wir diese Woche konkrete Vorschläge für weitere Maßnahmen auf den Tisch. Ein Großteil dieser Forderungen schaffte es dann auch in die mehrheitlich angenommene Stellungnahme des Parlaments:

Die Nutzung des Transparenzregisters für sämtliche Treffen mit Interessenvertreter*innen, auch ausländischer Regierungen, soll für alle Abgeordneten obligatorisch gemacht werden. Darüber hinaus soll es zu einem klaren Verbot finanzieller Verbindungen zwischen EU-Abgeordneten, Parteien und ihren Mitarbeitenden einerseits und Drittstaaten und Lobbyorganisationen andererseits kommen. Wir fordern auch einen Stopp der Drehtürpraktik in der europäischen Politik: EU-Abgeordnete, -Kommissar*innen und hohe -Beamt*innen sollen eine gewisse Zeit nach Mandatsende keine Lobbyfunktion in der Privatwirtschaft übernehmen können.

 

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Die besten Regeln werden nichts bringen, wenn sie nicht auch konsequent kontrolliert und durchgesetzt werden. Es ist längst an der Zeit, eine unabhängige Ethikkommission mit Zuständigkeit für alle EU-Institutionen einzuführen, welche sich mit möglichen Interessenkonflikten und Fehlverhalten von EU-Abgeordneten, -Kommissar*innen und hohen Beamt*innen befassen würde. Eine solche unabhängige Autorität könnte auch überprüfen, ob EU-Abgeordnete sich in ihrer Funktion nicht unrechtmäßig bereichert haben, indem am Anfang und am Ende jedes Mandats umfassende Vermögenserklärungen der Abgeordneten abgeglichen werden.

Revolutionär oder radikal waren diese beiden grünen Forderungen nicht, ähnliche Systeme gibt es bereits in mehreren europäischen Ländern, doch trotzdem waren sie lange für eine politische Mehrheit im EU-Parlament tabu. “Dank” dem Katar-Skandal konnten wir diese Woche endlich genügend Kolleg*innen überzeugen, für mehr Rechenschaft zu stimmen. Es ist natürlich traurig, dass es solche Skandale braucht, damit die Mehrheit sich bewegt.

Skeptiker werden einwerfen, dass strengere Regeln gezielt kriminelles Verhalten nicht verhindern können. Aber mit einer solch absurden Argumentation könnte man sich auch gegen bessere Arbeitsrechtbestimmungen oder Tempolimits aussprechen. Vereinzelte schwarze Schafe wird es wohl leider immer geben, aber wir sollten ihnen das Leben so schwer wie nur möglich machen und beweisen, dass sie gerade im Herzen unserer europäischen Demokratie keinen Platz haben.

Die klare Stellungnahme des Parlaments diese Woche war ein wichtiger erster Schritt in der hausinternen Aufarbeitung dieses Skandals. Alle Kolleginnen und Kollegen, die in den vergangenen Tagen Worte der Trauer, Ungläubigkeit und Wut ausgesprochen haben, müssen in den nächsten Monaten konkrete Taten folgen lassen. Denn wenn wir nicht wollen, dass die EU-Institutionen dauerhaft Schaden nehmen, dürfen wir diesen Vorfall nicht nach dem aktuellen Newscycle wieder unter den Teppich kehren und weitermachen wie bisher, sondern dafür sorgen, dass es zu nachhaltigen Veränderungen kommt und sich ein allgegenwärtiger Geist der Verantwortung und Transparenz festsetzt.

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