Faire Gehälter für EU-Angestellte in Luxemburg? Für die EU-Kommission scheinbar keine Option

 

Dieser Artikel ist am 23. Mai 2022 im Luxemburger Wort erschienen.

 

Am 9. Mai wurde der Europatag, der übrigens in keinem anderen europäischen Land ein Feiertag ist, in Luxemburg groß gefeiert. Am Tag darauf wurde das neue Konrad Adenauer Gebäude des Europäischen Parlaments auf dem Kirchberg mit großem Tamtam eröffnet. Solche Ereignisse sollen zeigen, dass Luxemburg aus der EU nicht wegzudenken ist – und die EU und ihre Institutionen auch nicht aus Luxemburg.

 

Doch hinter den schön glänzenden Fassaden von Kommission, Parlament, Rat und den EU-Agenturen die in Luxemburg angesiedelt sind, verbirgt sich eine nicht ganz so glanzvolle Wahrheit. EU-Institutionen und Gewerkschaften schlagen Alarm: Es gibt immer größere Probleme, Mitarbeiter zu finden, die bereit sind, für die Institutionen in Luxemburg zu arbeiten.

 

Attraktivitätsproblem der EU-Institutionen in Luxemburg

 

Der Grund dafür ist einfach: Der in Luxemburg ausgezahlte Reallohn liegt laut Eurostat 25,4% unter dem, was ihre Kolleginnen im Rest der EU – und darüber hinaus – verdienen. In allen anderen Ländern, in denen EU-Institutionen angesiedelt sind, wird der Lohn über einen “Berichtigungskoeffizienten” an die Kaufkraft im jeweiligen Land angepasst, damit sich beispielsweise eine Beamtin in Kopenhagen genauso viel von ihrem Lohn leisten kann, wie ihr Kollege in Brüssel.

 

Nur in Luxemburg ist das nicht der Fall. Das liegt an einer Bestimmung im EU-Beamtenstatut die vorsieht, dass in Luxemburg kein Berichtigungskoeffizient angewandt werden soll. Ursprünglich sollte dieser Passus die Wichtigkeit Luxemburgs als eine der Hauptstädte der Europäischen Union betonen. Heute bedroht er gerade diesen Status.

 

2014 wurde dann für Brüssel und Luxemburg ein gemeinsamer Index eingeführt. Dies bedeutet, dass für die Berechnung der Gehälter die Lebenskosten der beiden Standorte berücksichtigt werden. Dies brachte zwar erst einmal eine leichte Verbesserung der Gehälter in Luxemburg mit sich, aber vor allem eine Erhöhung der Gehälter in Brüssel, welche nicht dem lokalen Preisniveau entspricht.

 

Es mag dank leider immer noch weit verbreiteter Klischees überraschen, aber viele, die in Luxemburg für die EU-Institutionen arbeiten, verdienen sich keine goldene Nase, sondern leben knapp am Existenzminimum. Auch was die Krankenversorgung und Kinderbetreuung angeht, sind sie gegenüber nach luxemburgischem Recht angestellten Arbeitnehmern schlechter gestellt. Vor allem jene die unter prekären Zeitverträgen arbeiten – und diese Verträge werden leider immer öfter angeboten – sind finanziell in einer schwierigen Lage.

 

Die mangelnde Attraktivität Luxemburgs für EU-Angestellte hat weitreichende Konsequenzen: Talente weigern sich nach Luxemburg zu kommen, oder nutzen das Großherzogtum als Einstieg in die Institutionen, um sich nach kurzer Zeit nach Brüssel versetzen zu lassen, wo sie dann dank der Kopplung an Luxemburg überdurchschnittlich viel verdienen. Die Institutionen in Luxemburg können wichtige Stellen nicht besetzen oder verlieren herangezogenes Knowhow nach wenigen Jahren. Als Konsequenz ziehen wichtige Behörden aus Luxemburg nach Brüssel oder kommen gar nicht erst ins Großherzogtum.

 

Ein Tropfen auf den heißen Stein

 

Im Asselborn-Georgieva-Abkommen aus dem Jahr 2015, auf das sich das Außenministerium öfters beruft, macht die Kommission Zusicherungen zur Anzahl an Stellen, die in Luxemburg angesiedelt werden sollen. Im Gegenzug geht die luxemburgische Regierung erhebliche politische und finanzielle Verpflichtungen ein. Die im Abkommen festgehalten Ziele werden von der Kommission jedoch in Realität nicht erfüllt.

 

Auch in der Chamber stand das Thema diese Woche auf der Agenda. Das Parlament hat einstimmig der Regierung den Rücken gestärkt, um von der Kommission eine dauerhafte und faire Lösung für das Problem einzufordern.

 

Ob dies bei der Kommission auf fruchtbaren Boden fallen wird, ist allerdings eine andere Frage, denn diese hat lange versucht das Thema unter den Teppich zu kehren. Jetzt, wo es der angewachsenen Größe des Problems geschuldet nicht mehr drunter passt, schlägt sie anstatt der notwendigen, tiefgreifenden Reform bestenfalls kosmetische Behandlungen vor. Unter Leitung des zuständigen Kommissars Johannes Hahn versucht sie offen, die Einführung eines Berichtigungskoeffizienten für Luxemburg zu verhindern.

 

Dies wird auch in einem Ende April veröffentlichten Bericht zur Entwicklung der Kaufkraft der EU-Angestellten deutlich. Aufgrund der “geographischen Besonderheit” Luxemburgs, wegen der tausende Mitarbeiterinnen in der Grenzregion leben können, würde die Berechnung eines Koeffizienten auf Basis luxemburgischer Preise gar keinen Sinn ergeben, heißt es dort.

 

Hinzu komme, dass der Preisunterschied vor allem auf die hohen Wohnkosten in Luxemburg zurückzuführen sei: Diese waren in Luxemburg bereits 2019 um 53% höher als in Brüssel. Aber, so steht es im Bericht, es könnte ja sein, dass einige Angestellte ihre Unterkunft bereits vor dieser enormen Preissteigerung erworben haben. Der Lösungsvorschlag: ein zeitlich begrenztes Wohngeld für die unteren Dienstgrade, als Sozialmaßnahme.

 

Zweierlei Maß

 

Wohlgemerkt: All diese Argumente werden ausschließlich für Luxemburg vorgebracht. Niemand redet davon, den Index in Brüssel an die Preise im ländlichen Wallonien anzupassen, oder Wohnkosten aus dem Warenkorb zu streichen, weil einige Angestellte außerhalb von Brüssel leben oder ihr Haus vielleicht schon vor Jahren kauften, als dies noch günstiger war.

 

Was die Kommission in ihrer Argumentation bewusst außen vor lässt, ist, dass eben so viele außerhalb Luxemburgs leben und lange Arbeitswege auf sich nehmen müssen, weil sie es sich nicht leisten können, innerhalb des Landes zu wohnen. Es sind diejenigen, die am wenigsten verdienen, die über die Grenzen getrieben werden. Ein zeitlich begrenztes Wohngeld bietet ihnen keine Perspektive dauerhaft in Luxemburg leben zu können.

 

Die fairste Lösung wäre sehr einfach: Luxemburg zu behandeln wie alle anderen Länder auch. Die Kommission bevorzugt jedoch höchst komplizierte Argumentationsakrobatik, um eine Politik extrem limitierter und punktueller Unterstützung zu rechtfertigen, welche droht Mitarbeiter gegeneinander auszuspielen.

 

Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg

 

Weitere Totschlagargumente der Kommission: Es wäre einfach kein Budget da, um die Mitarbeiterinnen in Luxemburg angemessen zu bezahlen, geschweige denn die notwendigen Mehrheiten in Parlament und Rat um die Regeln zu ändern.

 

Durch eine Entkopplung der Gehälter von Brüssel und Luxemburg und die Einführung eines separaten Berichtigungskoeffizienten für Luxemburg entstünden jedoch langfristig nicht unbedingt Mehrkosten, da aktuell die Angestellten in Brüssel durch den gemeinsamen Index leicht überbezahlt werden. Es würde lediglich eine der wirtschaftlichen Realität entsprechende, gerechtere Verteilung der Gehälter stattfinden.

 

Eine faire Bezahlung der EU-Angestellten in Luxemburg droht also in erster Linie nicht am Budget, sondern am fehlenden politischen Willen zu scheitern. Wir haben es hier mit einer Situation sozialer Ungerechtigkeit und Diskriminierung zu tun, und die Kommission sieht sehenden Auges zu.

 

Leidtragende sind die bei uns ansässigen europäischen Institutionen, deren Funktionieren erheblich durch Rekrutierungsprobleme eingeschränkt wird, sowie der Status Luxemburgs als Europäische Hauptstadt und der wirtschaftliche, politische und kulturelle Mehrwert, der uns damit zu gute kommt. Vor allem aber sind es die tausenden EU-Angestellten, denen eine Gleichbehandlung mit ihren Kolleginnen im Rest der Welt (!) verwehrt bleibt.

 

Die aktuellen Bestimmungen zum Berichtigungskoeffizienten gelten noch bis Ende 2023. Der kürzlich von der Kommission veröffentlichte Bericht dient als Basis für eventuelle Anpassungen des Statuts für die nächsten Jahre.  Alle, denen soziale Gerechtigkeit und faire Arbeitsbedingungen am Herz liegen und die einen Bedeutungsverlust Luxemburgs als EU-Hauptstadt verhindern möchten, müssen sich jetzt dafür einsetzen, dass auch hierzulande ein Berichtigungskoeffizient eingeführt wird. Den Status Quo können wir nicht länger hinnehmen.

 

*Tilly Metz ist seit 2018 Abgeordnete für déi gréng im Europäischen Parlament.

 

 

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