Energie- und Agrarpolitik auf stürmischer See


Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf den europäischen Green Deal

 

Erschienen am 19. März 2022, im Luxemburger Wort

 

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein schmerzvoller Einschnitt in die Geschichte unseres Kontinents. Die Europäische Union stellte sich dieser historischen Herausforderung überraschend entschlossen. Noch nie waren sich die Mitgliedstaaten so schnell über strenge Sanktionen gegen ein anderes Land einig. Noch nie wurde so rasch und konkret entschieden, Flüchtlinge aufzunehmen und zu verteilen. Diese geeinte Entschlossenheit in einem Krisenmoment ist natürlich zu begrüßen.

Als EU-Abgeordnete sehe ich eine zusätzliche politische Debatte die dringend geführt werden muss: der mögliche Impakt dieses Krieges auf die mittel- und langfristige Umsetzung unserer Nachhaltigkeitsziele im Kontext des europäischen Green Deals. Am 28. Februar erschien der 6. Bericht des Weltklimarates, dessen Veröffentlichung von der Ukraine-Tragödie in den Hintergrund gedrängt wurde. Dabei warnt der Bericht eindringlich, dass die bisherigen Bemühungen zur Bekämpfung der Erderwärmung nicht ausreichen werden, um ernsthafte Verluste und Schäden für Ökosysteme und Menschen zu verhindern.

Für die EU gilt es angesichts dieser Warnung, am Green Deal festzuhalten und wo möglich sogar noch nachzulegen. Zwei Bereiche sind hier besonders hervorzuheben, da sie aktuell in gegensätzliche Richtungen zu driften scheinen: Energie und Landwirtschaft.

Energie: Mehr Zustimmung für den Wandel

Vor ein paar Wochen wüteten in Brüssel noch heftige Diskussionen um den Vorschlag der Europäischen Kommission, Investitionen in Gas- und Nuklearanlagen im Rahmen der Taxonomie-Verordnung als nachhaltig einzustufen.

Seit Beginn des Krieges wirkt diese Debatte überholt, wenn nicht sogar absurd. 20% des Urans das in europäischen Atomkraftwerken genutzt wird, stammt aus Russland. Mittlerweile ist jedem bewusst, dass wir auch beim Gas stark von Russland abhängen (2021 zu 40%). Realistische Alternativen für eine Uran- und Gaszufuhr in dem aktuell benötigten Maße gibt es nicht, geschweige denn für die Deckung eines noch größeren Bedarfs, falls massiv in neue Infrastrukturen investiert werden sollte.

In diesem Kontext finden grüne Kernforderungen endlich mehr Gehör: Zwei Wochen nach dem russischen Angriff schlug die EU-Kommission vor, erneuerbare Energien und Energieeffizienz nun im Eiltempo voranzubringen, um so den steigenden Energiepreisen entgegenzuwirken und rasch die europäische Energieabhängigkeit von fragwürdigen Regimen wie Russland zu beenden.

Doch ganz so schlüssig ist das ‘REPowerEU’-Vorhaben noch nicht: kein konkreter Investitionsplan für Wind- und Solarkraft, kein Wort zum Taxonomie-Vorschlag oder der Nutzung von russischem Uran für Atomkraft, keine Infragestellung der kolossalen Erdölimporte aus Russland und anderen Autokratien, stattdessen die Befürwortung von mehr Flüssigerdgas-Importen, unter anderem aus Ländern wie Katar, Ägypten, oder demnächst China.

Mit Hinblick auf den nächsten Winter muss die EU natürlich Energieengpässe und starke Preisschwankungen verhindern und hierfür könnten kurzfristig auch Flüssigerdgas-Importe hilfreich sein. Langfristig eine Abhängigkeit gegen eine andere auszutauschen, ist jedoch unsinnig, besonders wenn es sich bei beiden um fossile Energien handelt, von denen wir doch des Klimas wegen dringend wegkommen müssen.

Infragestellung einer nachhaltigeren Lebensmittelproduktion

Vielen war bisher nicht bewusst, wie sehr die Welt auch im Bereich der Ernährung von Exporten aus der Ukraine und Russland abhängig ist. Allein ihre Weizenexporte stellen 30% der globalen Exporte dar, von denen vor allem Afrika und der Nahe Osten abhängig sind. Steigende Preise und Lebensmittelknappheit können dort zu politischer Instabilität führen. Die EU importiert vor allem Futter für die Tierhaltung.

Es dauerte dann auch nicht lange, bis einige Regierungen, die agro-industrielle Lobby und auch Parteien hier in Luxemburg sich auf die Farm-to-Fork- und Biodiversitätsziele stürzten und die EU-Kommission dazu aufriefen, die Umsetzung dieser Ziele doch bitte mit Blick auf den Krieg auf Eis zu legen. Zum Schreck vieler erklärte die Kommission sich dazu bereit, zu überprüfen, ob und wie die Nachhaltigkeitsziele im Bereich der Lebensmittelproduktion angesichts der aktuellen Ereignisse angepasst werden müssen. Konkret geht es hier um Ziele zur Reduktion von chemischen Pestiziden (-50% bis 2030), Düngemittel (-20%), Antibiotika in der Tierhaltung (-50%), oder auch zur Erstellung und zum Erhalt von Biodiversitätsflächen (10% pro Hof).

Synthetische Pestizide und Dünger, für deren quasi uneingeschränkten Einsatz nun Einige plädieren, sind Teil der aktuellen Probleme, nicht deren Lösung. Nicht nur wegen ihrer Auswirkungen auf Umwelt und Artenvielfalt, sondern auch weil ihre Produktion enorm viel Energie verbraucht. Zudem wird der chemische Dünger auf europäischen Feldern in bedeutenden Mengen aus Russland importiert.

Am problematischsten finde ich die Forderung, den Anbau von Futtermittel für Nutztiere in der EU massiv auszuweiten, wobei schon seit Jahren klar ist, dass wir sowohl die Zahl der Tiere wie auch den Anbau von Monokulturen für Futtermittel reduzieren müssen. Ausgerechnet ökologische Vorrangflächen sollen hierfür zur Verfügung gestellt werden, wobei auch der auf solchen Flächen eigentlich verbotene Pestizideinsatz erlaubt werden soll.

Frontaler könnte man den Green Deal nicht angreifen. Dabei sind die Farm-to-Fork und Biodiversitätsziele genau das, was der EU dauerhaft Ernährungssicherheit und -Autonomie ermöglichen kann. Aktuell werden über 30% aller Lebensmittel verschwendet und 60% des Getreides an Tiere verfüttert.

Was wir brauchen, ist nicht mehr Futter für europäische Nutztiere, sondern höchstens der Anbau von mehr Getreide und Gemüse für den Menschen, um von Hungersnot bedrohten Regionen aushelfen zu können, und langfristig eine nachhaltige und lokale Landwirtschaft auf die Beine zu stellen. Hierzu gehört auch die Einschränkung der Verwendung von essbaren Pflanzen für Nicht-Nahrungszwecke. Bei unseren deutschen Nachbarn landen zum Beispiel 18% aller Feldfrüchte in der Biospritproduktion anstatt auf dem Teller, auch wegen der fälschlichen Einstufung von Biotreibstoffen als nachhaltige erneuerbare Energie.

Die Vehemenz, mit der einige Mitgliedstaaten, Abgeordnete und Lobbyisten die Nachhaltigkeitsziele unter dem Vorwand des Krieges in der Ukraine angreifen, ist erschreckend. Am schwierigsten nachzuvollziehen ist jedoch die Bereitschaft der EU-Kommission, diese Forderungen ernst zu nehmen und somit den gesamten europäischen Green Deal aufs Spiel zu setzen. Das Festhalten an einem nicht nachhaltigen Agrarmodell, das enorme ökologische Probleme verursacht und viele Betriebe in den Ruin treibt, hilft auf Dauer niemandem.

Tief einatmen und Kurs beibehalten

Natürlich brauchen wir schnell umsetzbare Lösungen für mögliche, kurzfristige Engpässe auf dem europäischen Markt, sei es im Bereich der Energie oder der Lebensmittelzufuhr. Klar ist aber auch, dass die Weichen für eine ökologische Transition unserer Wirtschaft jetzt gestellt werden müssen. Überstürzte Entscheidungen, welche die Transition um weitere zehn Jahre nach hinten verschieben, können wir uns nicht erlauben.

Unsere Wirtschaft ist wie ein riesiges Schiff auf hoher See: Jeder Kurswechsel ist mühsam und braucht Zeit, 180 Grad-Wendungen unternimmt man nicht mal so. Der aktuelle politische Elan für den ökologischen Wandel baut auf Jahrzehnten Vorarbeit und Druck von Zivilgesellschaft und Wissenschaft auf. Diesen mühsam erarbeiteten Fortschritt jetzt über Bord werfen und einen Rückzieher machen zu wollen, wäre langfristig ein fataler Fehler für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Es wäre ein Kurswechsel zurück in Richtung Eisberg.

In der nächsten Zeit erwarte ich in Bezug auf den europäischen Green Deal, dass mit Weitsicht und Vernunft gehandelt wird. Klimakrise und Artensterben halten nicht inne, wenn der Mensch in den Krieg zieht.

Tilly Metz ist europäische Abgeordnete für déi gréng und Mitglied der Umwelt- und Agrarausschüsse im EU-Parlament

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