Straßburg, 20. Oktober 2021

Pressebriefing

„Farm-to-Fork“-Strategie: für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem

Die Farm-to-Fork Strategie der Europäischen Kommission

Im Mai 2020 hat die Kommission ihre „‘Vom Hof auf den Tisch‘ Strategie: für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem“ als Agrar- und Lebensmittelkomponente des Green Deals veröffentlicht. Ziel dieser Strategie ist es, den sozialen und ökologischen Fußabdruck unserer Lebensmittelproduktion zu verringern, um eine positive Umweltbilanz zu erreichen. Sie zielt auch darauf ab, den anhaltenden Trend zum Verlust der biologischen Vielfalt umzukehren, Ernährungssicherheit- und Erschwinglichkeit zu gewährleisten sowie den Klimawandel abzumildern und sich an ihn anzupassen.

Die Farm-to-Fork Strategie kündigt 27 Aktionen in den Bereichen Produktion, Verarbeitung, Vertrieb und Lebensmittelverschwendung an, und bietet somit einen recht umfassenden (aber nicht vollständigen) Überblick über das europäische Lebensmittelsystem.

Sie setzt einige konkrete Ziele wie die

  • Verringerung des Einsatzes von chemischen Pestiziden um 50 %
  • Verringerung von Nährstoffverlusten um mindestens 50 %
  • Verringerung des Einsatzes von chemischen Düngemitteln um mindestens 20 %
  • Reduzierung des Verkaufs von Antibiotika in Tierhaltung und Aquakultur um 50 %
  • Erhöhung des Anteils des ökologischen Landbaus an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche auf 25 % bis 2030

Schließlich sieht die Strategie die Entwicklung eines Rechtsrahmens für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem und die Einführung oder Überarbeitung einer Reihe wichtiger Rechtsvorschriften vor, wie die Pestizid-Richtlinie, die Pflanzenschutzmittel-Verordnung, die Tiertransport-Verordnung sowie andere Tierwohl-Rechtsvorschriften, Texte zur Lebensmittelkontaktmaterialien oder auch ein neues Nährwertkennzeichnungssystem auf Lebensmittelverpackungen.

Eines der Hauptprobleme der Strategie ist jedoch, dass die wichtigste Politik, die sich direkt auf die landwirtschaftlichen Praktiken auswirkt, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), bereits weit in den Reformverhandlungen für den Zeitraum 2021-2027 steckte als die Strategie veröffentlicht wurde, und die derzeitige Kommission beschloss, den GAP-Entwurf der vorherigen Kommission beizubehalten, obwohl dieser Text nicht mit dem Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie übereinstimmt. Die aus den GAP-Trilogen hervorgegangenen Texte, die im November dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt werden, bleiben weit hinter den Ambitionen der Farm-to-Fork Strategie zurück.

 

Der Bericht des Europäischen Parlaments über die Farm-to-Fork Strategie

Der Initiativbericht wurde von den AGRI- und ENVI-Ausschüssen gemeinsam verfasst, wobei die INTA- (internationaler Handel) und PECH-Ausschüsse für ihren exklusiven Kompetenzbereich zuständig waren. Dieses komplexe Verfahren wurde nach langwierigen Verhandlungen zwischen den Ausschüssen beschlossen, was weitgehend erklärt, warum der Bericht erst mehr als ein Jahr nach der Veröffentlichung der Strategie von der Kommission zur Abstimmung gestellt wird.

Die Ansätze des AGRI- und des ENVI-Ausschusses waren sehr unterschiedlich, auch innerhalb der meisten Fraktionen. Diese Differenz wurde von den beiden Mitberichterstattern unterstrichen: ENVI-Berichterstatterin Anja Hazekamp, eine Tierrechtsaktivistin der Linken, unterstützte die Strategie von Anfang an, während der EVP-Berichterstatter des AGRI-Ausschusses, Herbert Dorfmann, die Strategie bei deren Veröffentlichung öffentlich angriff.

Zur Überraschung vieler ist der Bericht jedoch insgesamt sehr positiv ausgefallen. Die Strategie berücksichtigt, dass europäischen Verbraucher, Landwirte und Unternehmen alle ein Interesse an einem erfolgreichen Übergang zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem haben, und unterstreicht die Notwendigkeit eines dringenden und gewagten politischen und rechtlichen Wandels um die Nachhaltigkeit des europäischen Lebensmittelsystems zu verbessern.

Anfang September 2021 verabschiedeten die AGRI- und ENVI-Ausschüsse den Bericht mit großer Mehrheit (94 von 124 Stimmen). Für die Grünen/EFA Fraktion wurden einige wichtige Fragen nicht zufriedenstellend gelöst: die neuen GVO/NTG (mit einem Sammelsurium-Änderungsantrag der darauf abzielt, einzelne Änderungsanträge zu diesem Thema zu neutralisieren), Saatgut, Düngemittel und die Notwendigkeit, die Produktion und den Verbrauch von tierischen Erzeugnissen zu verringern. Aber das Gesamtbild bleibt positiv, denn der Bericht unterstützt die Ziele der Farm-to-Fork Strategie und fordert die Entwicklung einer Reihe vielversprechender Maßnahmen (u.a. zu Nährwertkennzeichnung, Pestiziden, Fischerei und unfairen Handelspraktiken).

In den Wochen vor den Abstimmungen im Plenum wurden die Strategie und der Bericht jedoch vonseiten der Agrar- und Lebensmittelindustrie sowie rechter und rechtsextremer Abgeordneten stark angegriffen. Besonders die konkreten Ziele der Strategie, welche der Bericht der ENVI und AGRI-Ausschüsse explizit unterstützte, waren vielen auf einmal ein Dorn im Auge. Gewettert wurde unter anderem im Namen der Lebensmittelsicherheit der Union und auf Basis dubioser Studien.

Trotz dieser Angriffe und dank der Bemühungen progressiver Kräfte im Parlament (mit der Unterstützung der beiden Berichterstatter) hat der Bericht zur Farm-to-Fork Strategie es am 19. Oktober 2021 geschafft eine Mehrheit der Stimmen für sich zu gewinnen, und dies inklusive der konkreten Ziele.

 

 

 

Der Bericht im Detail

Positive Elemente:

 

•         Verpflichtende Due Diligence für die ganze Lebensmittelkette, um die Nachhaltigkeit europäischer und ausländischer Unternehmen zu gewährleisten und um sicherzustellen, dass Investitionen keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben, wie etwa Entwaldung, Waldschädigung, Umwandlung und Zerstörung natürlicher Ökosysteme, sowie negative Auswirkungen auf die Menschenrechte. Die Rückverfolgbarkeit und Rechenschaftspflicht soll verbessert werden.

 

•         Null Toleranz für Importe mit Pestizidrückständen, die europäische Standards überschreiten. Für Erzeuger von Nahrungsmitteln in Drittländern müssen dieselben Anforderungen gelten wie für europäische Landwirte und Erzeuger.

 

•         Pestizide: Der Bericht empfiehlt die Überarbeitung der Richtlinie über die Verwendung von Pestiziden im Hinblick auf eine bessere Bewertung von Umweltrisiken, sowie harmonisierte Risikoindikatoren mit dem Ziel, Persistenz, Bioakkumulation und Toxizität einzubeziehen. Der Text fordert die Kommission auch dazu auf, Substanzen mit einer ähnlichen Wirkungsweise wie die von Neonicotinoiden dringend neu zu bewerten.

 

•         GAP: Der Bericht fordert, dass nationale Strategiepläne nachweisen müssen, dass sie den Zielen des Grünen Deals folgen. Die Farm-to-Fork Strategie unterstützt ausdrücklich den ökologischen Landbau, die integrierte Produktion und die Agrarökologie.

 

•         Kennzeichnung nach Herkunft, Nachhaltigkeit und Tierproduktionsmethoden: Der Bericht fordert eine obligatorische Herkunftskennzeichnung aller Lebensmittel, einschließlich Meeresfrüchte, Aquakultur und verarbeitete Produkte, und betont, dass dies notwendig ist um Lebensmittelbetrug wirksam zu bekämpfen und Verbrauchern mehr Transparenz bei ihren Einkäufen zu bieten. Ebenfalls gefordert wird ein harmonisierter Rechtsrahmen für Nachhaltigkeitsaussagen und die Kennzeichnung von Tierprodukten auf der Grundlage von Haltungsart und Tierschutzindikatoren.

 

•         Gesunde Ernährung: Es wird betont, dass die Ernährung der meisten Europäer nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen für eine gesunde Ernährung entspricht und dass hier ein gesellschaftliches Umdenken erforderlich ist. Der Bericht fordert unter anderem mehr Flexibilität bei den Mehrwertsteuersätzen für Lebensmittel, die es Mitgliedstaaten ermöglichen soll, für gesunde und nachhaltige Lebensmittel wie Obst und Gemüse sehr niedrige Steuersätze zu wählen.

 

•         Lebensmittelverschwendung: Der Text fordert verbindliche Ziele zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung um 30 % bis 2025 und 50 % bis 2030 „auf jeder Stufe der Lieferkette“, sowie die Integration der Prinzipien der Kreislaufwirtschaft.

 

•         Tierschutz: Der Bericht wiederholt die Forderung der „End The Cage Age“-Bürgerinitiative nach einer Abschaffung von Käfigen in der Tierhaltung bis 2027 und fordert die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission gegenüber Mitgliedstaaten, die die Einhaltung der europäischen Tierschutzvorschriften nicht angemessen gewährleisten. Der Bericht fordert auch die Förderung von Alternativen zum Transport lebender Tiere (d. h. lokale Schlachtlösungen und der Transport von Fleisch anstatt lebender Tiere) und ein Einfuhrverbot für tierische Produkte aus Drittländern, sofern die Produktionsstandards nicht denen der EU entsprechen.

 

Negative Elemente:

 

•         GVO und neue genetische Modifikationstechniken (NBT): Die Position des Europäischen Parlaments zur Genmanipulation zweiter Generation (resultierend aus genomischer Bearbeitung) war eine der brenzligen Fragen dieses Berichts. Der aus den Verhandlungen hervorgegangene Kompromiss ist ein ziemlich neutraler Text, der auf das (unbewiesene) Potenzial dieser neuen Techniken verweist und gleichzeitig auf die Bedeutung des Vorsorgeprinzips pocht, sowie auf die Notwendigkeit eines hohen Gesundheits- und Umweltschutzniveaus, und des Rechts der Verbraucher auf Transparenz und Information.

 

•         Förderung landwirtschaftlicher Produkte: Der Bericht wiederholt leider nicht den ausgezeichneten Vorschlag der Kommission, die europäischen Beihilfen zur Förderung landwirtschaftlicher Produkte (182,9 Mio. EUR im Jahr 2021) auf die nachhaltigsten Produkte zu konzentrieren, unter Ausschluss tierischer Produkte aus der Intensivzucht.

 

•         Öffentliches Beschaffungswesen: Keine Erwähnung der Notwendigkeit, Bio-Produkte in den Kantinen öffentlicher Einrichtungen zu fördern, was eine der traurigsten Niederlagen darstellt, da das öffentliche Beschaffungswesen ein wertvolles Instrument zur Unterstützung der Entwicklung lokaler Bio-Branchen ist.

 

•         Saatgut: Der Bericht begrüßt die Verbreitung von traditionellem und lokalem,  unregistriertem Saatgut, dies jedoch nur für nicht-kommerzielle Zwecke, was die Wahlfreiheit der Landwirte stark einschränkt und die Vielfalt auf unseren Tellern und in unseren Feldern stark begrenzt.

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